Backsteinexpressionismus – Malocherpalais
Perlen der Provinz:Stadtdörflich und backsteinern
Auf der Detmolder Straße rauscht der Verkehr wie eh und je. Die mehrspurige Straße ist die Verbindung zwischen der Autobahnabfahrt der A2 und dem Bielefelder Stadtzentrum, vorbei an Gewerbegebieten, Autohäusern und Einrichtungsgeschäften. Oberhalb der Magistrale befindet sich der Teutoburger Wald, zur anderen Seite im Stadtteil Sieker hat die Industriestadt versteckte Architekturperlen. Siekerfelde gehört zum Stadtteil Sieker, hier leben um die 7.000 Menschen. Der Übergang zum drei Kilometer entfernten Stadtkern ist nahtlos. Der Bielefelder Architekt Gustav Vogt entwarf in den 1920er-Jahren zwei Reformsiedlungen, zunächst die Heeper Fichten (Fertigstellung: 1926) und Siekerfelde (1930). In Sieker sind seine Bauten rund um die Straßen Im Siekerfelde, Königsbrügge und An der Krücke zu finden und damit nur wenige Meter von der lauten Detmolder Straße entfernt. Diese ist nur als fernes Tosen zu hören in der geschickt angelegten Anlage mit der beinah stadtdörflichen Atmosphäre. In den Heeper Fichten ist das modernistische Friedrich-Ebert-Haus das Zentrum, in Siekerfelde ist es das „Arbeiterschloss“, ein wuchtiges, ebenmäßig entworfenes Wohnhaus. In beiden Siedlungen setzte Vogt auf Backstein als wichtiges Gestaltungselement. Hinzu kommen die Spitzbögen, erkerähnliche Ausbuchtungen und an mittelalterliche Wege erinnernde Gänge. Siekerfelde wirkt insgesamt weniger expressionistisch, dafür nüchterner. Ein Beispiel dafür ist das Arbeiterschloss. Das viergeschossige Haupthaus überragt die beiden zweigeschossigen Gebäudeflügel, die in den großzügigen Vorgarten geschoben sind. Die symmetrische Anordnung der Hausgruppe hat tatsächlich etwas schlossartiges. Der Unterschied zum Adelsbau ist der Verzicht auf Pompöses, stattdessen betonte Vogt die Sachlichkeit mit dem verklinkerten Erdgeschoss und den waagerechten Steinkanten. Die spitz zulaufenden Dachfenster scheinen wie expressionistische Zitate. Wie der Heeper Fichten-Komplex wurde Siekerfelde damals modern mit Bädern und Toiletten in den Wohnungen ausgestattet. Die Innenhöfe sind der grüne Kontrast zu den Backsteinelementen der Fassaden.
Beide Siedlungen sind fast 4 km voneinander entfernt und können in einer ausgedehnt-sportlichen Stadtwanderung gut erkundet werden. Beide wirken wie architektonisch-backsteinerne Endpunkte im Bielefelder Osten mit seiner gewachsenen, grünen Stadtlandschaft. Zwischendurch haben sich hier einige fade Tristesse-Neubauten verirrt – vor allem im 5. Kanton rund um die Bleichstraße – aber der geschichtsträchtige Gang passt gut zur Historie der Freien Scholle. Schließlich fing alles mit dem Bau von Sporthallen an.
Freie Scholle
Eine der größten Wohnungsbaugenossenschaft in Bielefeld, gegründet 1911. Ihr Ursprung war der Turnhallenbau für Arbeiter. Heute hat die Freie Scholle über 8.000 Mitglieder und verwaltet 5.000 Wohnungen, darunter die Reformsiedlungen Heeper Fichten und Siekerfelde. Beide wurden nach den Entwürfen des Bielefelder Architekten Gustav Vogt errichtet. Von 1950–1954 baute sie Auf dem Langen Kampe, an der Spindelstraße und Im Siekerfelde rund 1000 neue Wohnungen – in Sichtweite der denkmalgeschützten Arbeitersiedlung Im Siekerfelde.
Im Siekerfelde
Die Siedlung in Bielefeld-Sieker wurde von Gustav Vogt entworfen und 1930 fertiggestellt. Seitdem gab es mehrere und umfassende Modernisierungen mit Grundrissveränderungen. Insgesamt gibt es 296 Wohnungen. Das Viertel ist mit zwei Straßenbahnlinien an die Innenstadt angebunden, der Teutoburger Wald ist fußläufig.
THE LINK Lesetipp: Fragments of Metropolis Berlin und Fragments of Metropolis Rhein & Ruhr https://thelink.berlin/2017/08/urbanana-fragments-of-metropolis-berlin-fragments-of-metropolis-rhein-ruhr-architektur-architecture-hirmer-verlag-christoph-rauhut-niels-lehmann/