100 Jahre Werner Düttmann – Der Mensch als Maßstab
Buchwelten /Als Architekt, Senatsbaudirektor, Professor an der Technischen Universität Berlin und Präsident der Akademie der Künste war er eine der zentralen Persönlichkeiten im Stadt- und Kulturleben der West-Berliner Nachkriegszeit. Die von ihm gestalteten öffentliche Plätze und vielfältigen Bauten prägen noch heute das Bild der Hauptstadt. Am 6. März 2021 wäre Werner Düttmann hundert Jahre alt geworden. Das Brücke-Museum widmet ihm erstmalig eine Retrospektive. Begleitend erschien der gleichnamige Katalogband, der das breite Spektrum seines Schaffens aus verschiedenen Blickwinkeln eindrucksvoll beleuchtet.
Düttmanns dichten Plätze und eleganten Berliner Bauten wirken noch immer als kulturelle Ankerpunkte und imposante Landmarken. Die kurios anmutende Verkehrskanzel gegenüber dem Kranzler-Eck ist vom Kurfürstendamm kaum mehr wegzudenken. Arno Brandlhubers Neuinterpretation des brutalistischen Sakralmonuments St. Agnes ist heute ein fest etablierter Pfeiler des Berliner Kulturlebens. Sie ist seit 2015 die neue Kreuzberger Heimat der König Galerie. 2019 erweckten Steffen Obermann und Michael Ewerien die lichtdurchflutete Hansabücherei in wunderbarer Weise zu neuem Leben. Das Haus wartet gerade zusammen mit dem Hansaviertel und den benachbarten Atriumhäusern von Arne Jacobsen auf die Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe. Alle Beispiele zeigen, das die Bauten der Nachkriegsmoderne entgegen ihres in der Öffentlichkeit häufig verbreiteten Rufs auch im Sinne der Nachhaltigkeit noch immer zeitgemäß sind. Voraussetzung dafür ist eine gestalterische Qualität, wie sie auch die frühen Düttmann-Bauten haben, eine gute Pflege und eine Nutzung, die der heutigen Zeit entspricht.
Die Herausgeberinnen Lisa Marei Schmidt und Kerstin Wittmann-Englert haben in ihrem Katalogband eine Fülle von fundierten Textbeiträgen, großformatigen Zeichnungen und Fotografien zusammengetragen. Zeitzeugen, Weggefährten, Künstler, Historiker, Architekten und Kritiker beleuchten die Vielschichtigkeit des Baukünstlers in all seinen Facetten und ermöglichen den Leser*innen einen leichten Zugang zu Düttmanns außerordentlichem Lebenswerk. Er war nicht nur Architekt, sondern ein begnadetes Kommunikationsgenie mit einer Eigenschaft, “ … die dem Menschen und seinem Werk gleichermaßen eigen zu sein scheint“, so die beiden Herausgeberinnen. „Er baute in menschlichem Maßstab und war ein großer Humanist des Bauens …“
Düttmann verstand die „Architektur als Akt des kollektiven Benutzens“ und nicht als eine Ansammlung spektakulärer Solitäre, die sich selbst genügen.
Rund siebzig seiner Wohn-, Kultur- und Verkehrsbauten stehen noch. Darunter das Brücke-Museum am Rande des Grunewalds, das er 1967 für die Kunst des Expressionismus schuf und in dem derzeit auch der Kern der netzwerkartig angelegten Ausstellung zu sehen ist. Aber auch ein wenig aus der Zeit gefallene brutal anmutende Großinterventionen wie das Märkische Viertel, die Bebauung am Wassertorplatz oder der markante Mehringplatz in Kreuzberg zählen zu seinen Werken. Den Wettbewerb einer bewohnbaren Stadtlandschaft am Ende der Friedrichstraße hatte 1958 Hans Scharoun gewonnen. Sein Schüler Düttmann übernahm zunächst die Planungen und führte sie nach Scharouns Tod 1972 „zeitgemäß“ und autogerecht zu Ende. Die kreisrunde Wohnbebauung umschließt einen fahrzeugfreien, begrünten Platz. Darüber hinaus sollten hoch aufragende Gebäudemassive das Stadtquartier vor dem Lärm einer Verkehrsschneise schützen, die glücklicherweise nie realisiert wurde.
"Werner Düttmann, Berlin. Bau. Werk."
Hrsg. Lisa Marei Schmidt / Kerstin Wittmann-Englert, Klappenbroschur mit Fadenheftung, 22,5 x 29 cm, 372 Seiten, ISBN 978 3 8030 2215 8, Ausgabe: Deutsch, Wasmuth & Zohlen Verlag; Berlin Die Ausstellung im Brücke-Museum wird durch ein Netzwerk weiterer Veranstaltungen im Haus der Kulturen der Welt (HKW), in der König Galerie in St. Agnes, der Hansabücherei am Hansaplatz und im Foyer der Akademie der Künste am Hanseatenweg ergänzt. Zudem kann man Düttmanns Berliner Architekturen als Parcours an 27 Orten noch bis zum 11. Juli 2021 im Stadtraum und auf der umfangreichen Projektwebsite (www.wernerduettmann.de) erleben.
Werner Düttmann
1921 – 1983 (geboren in Berlin-Friedrichshain), Architekt, Stadtplaner, Maler. Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg mit Abschluss 1948. Ab 1951 arbeitete er als Architekt im Entwurfsamt der Berliner Bauverwaltung, 1953 wurde der zum Regierungsbaurat berufen, 1960 zum Senatsbaudirektor von West-Berlin. Düttmann gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Nachkriegsmoderne in Deutschland mit zahlreichen Entwürfen und umsetzten Projekten in Berlin.