Forum Castrop-Rauxel – Ruhrpott-Piazza
Perlen der Provinz:Der erste Eindruck irritiert. Ein Stadtzentrum auf der grünen Wiese? Ein Platz abgeschirmt von hoch aufragenden Klinkerwänden, trutzig und düster? Umgeben von lockerer eher kleinteiliger Bebauung. Sah so die Utopie eines pulsierenden Bürger-Forums der 1960er Jahre aus? Das Bild ändert sich, sobald man das heutige Forum Europaplatz betritt. Nach und nach erschließt sich die ausgezeichnete und präzise ausformulierte Architektur, ein wenig getrübt vom altersbedingtem Verschleiß und der Unvollständigkeit des Ensembles.
Um die vielen Eingemeindungen besser miteinander verknüpfen zu können, lobte die Gemeinde Castrop-Rauxel 1966 einen beschränkten Wettbewerb zu Errichtung ihres neuen Stadtzentrums aus. Das neue Forum sollte als zentraler Anziehungspunkt Verwaltung, Kultur und Sport miteinander verbinden und ein sichtbares, identitätsstiftendes Zeichen setzen. Erste Planungen gab es dazu schon in den frühen 1930er-Jahren. Castrop-Rauxel bestand seit 1926 aus zehn Gemeinden und der Stadt Castrop. Die Aufgabenstellung war ambitioniert, die Teilnehmerliste der Architekten hochkarätig besetzt. Alvar Alto, Finnlands progressivster Architekt, konnte damals bereits auf eine erfolgreiche Laufbahn blicken. Gerade steckte er in den Planungen für das Opernhaus der benachbarten Stadt Essen fest. Es sollte erst 1988 fertiggestellt werden, zwölf Jahre nach seinem Tod. Egon Eiermann hatte mit seinem modernen Entwurf der kriegszerstörten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Charlottenburg für Aufsehen gesorgt. Nicht zu vergessen ist auch sein Design für die legendären „Horten-Kacheln“, die im ganzen Land die Fassaden der Warenhäuser schmückten. Paul Schneider-Esleben war mit richtungsweisenden Bauten, wie der Haniel-Garage, dem Mannesmann Hochhaus und der Rochuskirche nicht nur in der Landeshauptstadt Düsseldorf ein geschätzter Planer. Auch Friedrich-Wilhelm Kraemer, u. a. Architekt der kuppelgedeckten Frankfurter Jahrhunderthalle, bewarb sich um den Auftrag in der nordrhein-westfälischen Provinz. Den Zuschlag erhielten schließlich die renommierten dänischen Architekten Arne Jacobsen und Otto Weitling. Das Team konnte als einziges mit einem schlüssig funktionalen und architektonisch zukunftsweisenden Entwurf punkten, der der zusammenwachsenden Stadt eine neue Identität verleihen sollte.
Das Forum Castrop-Rauxel liegt auf einem erhöhten Plateau. Ganz im Sinne der damals geschätzten autogerechten Stadt befindet sich unter dem Beton eine großzügige Tiefgaragen-Landschaft. Schließlich lag das neue Zentrum buchstäblich auf der grünen Wiese. Jacobsen und Weitling war es zudem wichtig, den weitläufig angelegten Platz selbst vom Verkehr freizuhalten, einen offenen Ort zu schaffen für die Bürgerinnen und Bürger, ein luftiges Foyer befreit vom Amtsmief der damaligen Zeit, eine Verschmelzung von Stadt und Natur. Eine wahrhaft visionäre Entscheidung!
Erschlossen wird der Platz im Westen über eine Rampe im Osten über eine breite Treppenanlage. Im Norden bildet das Rathaus auf einer Länge von etwa 250 Meter einen monumentalen Abschluss. Hier lässt sich Jacobsens Vorliebe für das Vertikale besonders gut ablesen. Der fünfgeschossige Ziegelsteinbau wirkt trutzig, überzeugt aber durch das geschickte Spiel verschiedener Geometrien. Die fünf Treppenräume sind zum Platz hin großzügig verglast, zur Straße brechen sie in ihrer geschwungenen Form die Geradlinigkeit des Riegels auf. Im ursprünglichen Entwurf waren weiße Putzfassaden statt der lokal typischen Klinker vorgesehen, was dem gesamten Ensemble im Zusammenspiel mit den heiteren Saalbauten eine noch stärkere Leichtigkeit verliehen hätte. Deren Spannbetondächer sind elegant geschwungen, abgehängt von schlanken Stahlbetonpylonen. Die kleinste Halle ist unmittelbar vor dem Rathaus positioniert und beherbergt den Ratssaal. Umlaufend verglast, kann man vom Platz aus direkt in das tiefergelegte Plenum blicken – ein klares Bekenntnis zu einer neuen Politik der Offenheit und Transparenz. Ein Motiv, das zuvor schon Jože Plečnik für seine Parlaments-Vision in Ljubljana und später Norman Foster für den Berliner Reichstag nutzten. Ihm gegenüber stehen zwei weitere Gebäude mit markantem Hängedach, die Stadt- und Kongresshalle mit Sitz des Westfälischen Landestheaters und die multifunktionale Europahalle (ehemals als Sporthalle geplant). Auch sie formen zur rückseitigen Straße hin einen zusammenhängenden Riegel. Was zu beiden dem Platz abgewandten Seiten als klare Kante und Übergang zur zukünftigen Stadt gedacht war, trat allerdings nie ein. Die Stadt wuchs gar nicht erst an das Forum heran. Aber gerade in diesen gebrochenen Stadträumen lassen sich die Besonderheit und der Reiz des Reviers besonders gut ablesen. Die Ruhrpott-Piazza selbst ist beinahe in allen Details so erhalten, wie damals geplant inklusive Pflanzungen, Plattenbelag und Pergolen. Jacobsen und Weitling hatten zudem blaue Möbel entworfen, die bis vor kurzem noch locker auf dem beinahe maritim wirkenden Platz verteilt standen. Leider musste das mittlerweile rostige Rohrwerk eingesammelt werden. Bleibt zu hoffen, dass die Bestuhlung nach erfolgter Aufarbeitung zurück auf die Piazza findet, ebenso wie die vor einigen Jahren stillgelegten Bassins. Das Wasser fehlt besonders schmerzlich in den ehemaligen Becken um den Ratssaal herum. Immerhin bestand die zuständige Denkmalpflege darauf, deren vormalige Position mit einer unterschiedlichen Pflasterung kenntlich zu machen.
Wie beinahe jedes ambitionierte Projekt waren die Kosten mit 80 Millionen DM happig veranschlagt. Der Begeisterung der Bürgerschaft tat das zunächst keinen Abbruch. Engagierte sammelten noch vor der Grundsteinlegung am 24. Juni 1971 mehr als 100.000 DM. Trotzdem musste gespart werden. Viele Visionen der Architekten wurden gestrichen oder zunächst auf Eis gelegt. Heute klafft eine Lücke am nordöstlichen Platzrand. Hier sollte ursprünglich eine Volkshochschule errichtet werden, die der Gesamtnutzung des Ortes sicherlich gut tun würde. Stattdessen wird die Wiese nun für temporäre Veranstaltungen genutzt. Der Fassung des Platzes fehlt spürbar ein wichtiger Baustein.
Arne Jacobsen erlebte die Fertigstellung des Forums nicht mehr. Er starb 1971. Erst 1976 beendete Otto Weitling zusammen mit seinem Partner Hans Dissing den Bau des Ensembles. Jacobsen und Weitling hatten aufgrund der vielen Änderungen lange mit dem Projekt gehadert und sich zwischenzeitlich resigniert ganz von dem Projekt zurückgezogen. Anders als beispielsweise das etwa zeitgleich entstandene Mainzer Rathaus wird das Forum Castrop-Rauxel bis heute nicht in ihrem Werksverzeichnis gelistet.
Leider wird das Ensemble in der Öffentlichkeit nicht besonders geschätzt. Dabei ist es ein hervorragendes Beispiel für den Aufbruch und die ständige Veränderung des Ruhrgebiets. Mit seiner zeichenhaften und zeitlosen Architektur und Stadtraumgestaltung ist es ein positives Beispiel der heute oft geschmähten Moderne. Mehr als vierzig Jahre nach seiner Fertigstellung wäre es an der Zeit, einen Ideen-Wettbewerb für die Schließung und Nutzung des fehlenden Bausteins auszuloben, um der Bedeutsamkeit dieser Ruhrperle gerecht zu werden und es zu dem werden zu lassen, was es immer schon sein sollte: das pulsierende Herz von Castrop-Rauxel.
Unsere Recherche im Forum Castrop-Rauxel wurde von Ruhr Tourismus GmbH unterstützt.
Forum Castrop-Rauxel
Adresse: Europaplatz 1-10, 44575 Castrop-Rauxel, Deutschland
Castrop-Rauxel
eine Stadt im Kreis Recklinghausen im Regierungsbezirk Münster, Nordrhein-Westfalen. Die Ruhrgebietsstadt wird im Regionalverband Ruhr (RVR) durch den Kreis Recklinghausen vertreten und ist Teil der Metropolregion Rhein-Ruhr. Stadt Castrop wurde am 1. April 1926 u. a. mit der Gemeinde Rauxel zur neuen Stadt Castrop-Rauxel zusammengelegt. In der Landesplanung Nordrhein-Westfalens ist Castrop-Rauxel als Mittelzentrum eingestuft. Castrop-Rauxels Stadtbild war im 19. und 20. Jahrhundert stark durch den Bergbau geprägt. Im Zuge der Industrialisierung siedelten sich die Zeche Erin, die Zeche Graf Schwerin, die Zeche Ickern und die Zeche Victor in der Stadt an. Das Ende des Bergbaus in Castrop-Rauxel wurde mit der Schließung der Zeche Erin im Jahr 1983 markiert. An die Bergbautradition erinnern heute Industriedenkmale, wie der Förderturm der Zeche Erin und der Hammerkopfturm; das frühere Motto der Stadt Industriestadt im Grünen, wurde entsprechend zu Europastadt im Grünen geändert. Das Stadtgebiet von Castrop-Rauxel hat eine Fläche von insgesamt 51,66 km². Den höchsten Punkt der Stadt markiert die Halde Schwerin mit 147 m über NN. (Wikipedia)
Arne Emil Jacobsen
1902–1971, geboren und gestorben in Kopenhagen. Er gilt als einer der international bedeutendsten Architekten und Designer Dänemarks im 20. Jahrhundert. Seine Entwürfe waren vom modernen Funktionalismus geprägt und beeinflusst durch Ludwig Mies van der Rohe, Le Corbusier und das Bauhaus. Seine Architektur zeichnet sich durch eine klare, an Geometrie und Material orientierte Formensprache aus. Außerhalb Dänemarks hat er unter anderem die Siedlung Südliches Hansaviertel, die Rathäuser von Mainz und Castrop-Rauxel, die Hamburgischen Elektrizitätswerke und die Hotelanlage am Südstrand von Fehmarn entworfen. Als Designer orientierten sich viele seiner Projekte an organische Formen, was auch mit seiner Naturverbundenheit zu tun hatte. Er war passionierter Botaniker.
Otto Weitling
Geboren 1930 in Haderslev. Dänischer Architekt, der international tätig war. Zusammen mit Hans Dissing gründete er das Büro Dissing+Weitling und wurde insbesondere durch die Arbeiten mit Arne Jacobsen bekannt. Gemeinsam arbeiteten sie an verschiedenen Bauten Jacobsens wie dem Mainzer Rathaus, dem Hamburger Christianeum, der Dänischen Botschaft in London oder dem Ostsee-Heilbad auf Fehmarn. Diese Projekte führten Weitling und Dissing nach dem Tod von Jacobsen 1971 fort. Mit Dissing arbeitete er später von 1975 bis 1985 an dem neuen Gebäude der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf und dem Gebäude der Zentralbank des Irak in Bagdad. Er ist Ehrenmitglied im Bund Deutscher Architekten BDA. 1991 erhielt er die C.F. Hansen Medaille.