Rising Architecture Week – Auf Augenhöhe
Reportage:Søndervangskolen, Skovbakkeskolen und die Architekturschule von Aarhus
Es fängt mit den Kleinsten an. Sie sollen sich bewegen. Sie sollen toben. Lasst sie klettern, balancieren, werfen, kicken. Lasst sie das in Räumen, Fluren, Sporthallen und Höfen machen, die alles sind, bloß nicht so linear und frontal wie das alte System mit Tischen und Stühle in Reih und Glied. So ähnlich sind die SMAK-Leute an den Umbau der Søndervangskolen gegangen und verwandelten den eckigen Klinker-Schulkomplex aus den 1960ern im Süden von Aarhus in eine Welt der Farben und Flexibilität, der Bewegungen und Verbindungen. Kinder von somalischen und afghanischen Einwanderern rennen um uns herum, als wir vom SMAK-Architekten Martin Roald durch den Komplex geführt werden. Jungs klettern an der Boulderwand neben den Umkleidekabinen, Mädchen mit Kopftüchern und in Leggings sind in ihre Tablets vertieft. Ein sozialer Brennpunkt – so würde man mit dem Schlagwort in Deutschland rumkeulen und einen ganzen Stadtteil samt Schule abstempeln. Als ob Einwanderung für Ewigkeiten mit Feuer, Fatalität und Fehlschlägen verbunden sein muss. Insofern ist dieser gelungene Umbau von SMAK nicht nur eine Neudefinition von Räumen und Funktionen, sondern auch im Zusammenspiel mit den Verantwortlichen, den Lehrern und Eltern eine (Kampf)Ansage in Richtung Populismus, Fremdenfeindlichkeit und Hass, der auch in Dänemark präsent ist.
Eine andere Welt ist die Skovbakkeskolen von CEBRA-Architekten. Von außen wirkt der Komplex im Örtchen Odder (zwischen Horsens und Aarhus gelegen) zunächst wie ein Solitär und erinnert mit den verschieden großen und unregelmäßig angeordneten Fenstern an ein hypermodernes Bürogebäude oder einen Kulturbau. Doch mit seinen Satteldächern nimmt die Skovbakkeskolen die Form der benachbarten Wohnhäuser auf und fügt sich auf diese Weise in die Umgebung ein. Drinnen läuft alles auf den zentralen Platz zu, ähnlich einer Plaza mit tribünenartigen Sitzen. Bewegung, Flexibilität, Offenheit sind auch hier, ähnlich wie beim SMAK-Bau, die vorherrschenden Elemente in Form von Sichtbezügen, Grundrissen, Materialauswahl und einer starken Hinwendung zum Licht. Daher auch die vielen und verschieden großen Fenster.
Zwei Schulen und zwei Lösungen von zwei Büros, die vieles gemeinsam haben, vor allem ihre Herkunft. Die Hafenstadt Aarhus ist ein Hub für zeitgenössische Architektur und damit ein Showroom für „Danisch Design“. Mit Arkitema, Schmidt Hammer Lassen, AART, CEBRA und 3XN kommen gleich fünf wichtige dänische Büros aus dieser Region. Neben ihnen erschaffen junge Architekten Projekte, die die zweitgrößte Stadt des Landes zu einem Bauhotspot machen. Begriffe, die oft genannt werden, wenn ich nach den Gründen für diesen Erfolg frage, sind „Vernetzung“ und „Kooperation“. Die Kreativen in dieser Stadt kennen und schätzen sich und arbeiten immer wieder für Projekte zusammen. Ein weiterer Faktor ist die „Arkitektskolen Aarhus“. An der renommierten Forschungs- und Bildungseinrichtung werden Studenten ausgebildet, die danach landes- und weltweit gefragte Architektur entwerfen. Insofern scheinen Søndervangskolen und Skovbakkeskolen logische Konsequenzen dieser Verbindung aus exzellenter Lehre und Zusammenarbeit zu sein. Aus Sicht von Carina Serritzlew, CEO von „The Architecture Project“ sollten weitere Faktoren dazukommen: Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit.
Der Hippietechniker, die Urbanistenlegende, der Baudichter
The Architecture Project ist die Organisation hinter der zweijährig stattfindenden Rising Architecture Week, einem Kongress, der jetzige und künftige Herausforderungen und Möglichkeiten einer modernen Gesellschaft thematisiert. Diese Zusammenkunft ist kein Selbstzweck. Vielmehr geht es darum, so Serritzlew, Menschen aus den verschiedensten Bereichen und Disziplinen zusammenzubringen. Es sind auch wirtschaftliche Interessen. Dänisches Design soll in bisher unbekannte, neue Märkte vordringen. Die Premiere der Biennale 2015 in Kopenhagen war erfolgreich, so dass zwei Jahre später Aarhus, die europäische Kulturhauptstadt 2017, als Austragungsort auserkoren wurde. Das kleine Team um Serritzlew, einer Kuratorin und ehemaligen Museumsleiterin, hat ein dichtes Programm erstellt, in dem Ungewöhnliches und Unbequemes thematisiert wird.
Daan Roosegaarde ist in dieser Hinsicht der passende Eröffnungsredner. Der niederländische Erfinder, Künstler und ausgebildete Architekt verknüpft in seiner (Arbeits)Biografie verschiedene Berufsbilder und hat vielleicht deshalb die Autorität zu sagen: „Mir fehlen die Visionen in der Architektur! Warum sind Neugierde und Offenheit verschwunden? Das Gleiche wird immer und immer wieder hervorgeholt!“
Sowohl im direkten Journalisten-Gespräch als auch später auf der Bühne des Kongresses beschreibt er enthusiastisch, pointiert und atemlos seine Welt, in der er und sein Studio Roosegaarde-Team Technik, Architektur und Kunst innovativ, ungewöhnlich und manchmal so schräg wie der Erfinder Daniel Düsentrieb zusammenführen. In diesem Roosegaarde-Universum entstehen Lotus-Wände aus Aluminiumfolien, die auf Wärme und Berührung reagieren (Lotus Dome in Lille, Frankreich, 2011), eine LED-Installation über Macht und Magie des Wassers („Waterlicht“ in Amsterdam, 2015) und Türme, die Smog in saubere Luft umwandeln (Smog Free Project, Rotterdam und Peking, 2015 und 2016). Er beschreibt sich als Hippie mit einem Businessplan, der „Techno-Poesie“ erschafft. Das Ganze garniert mit einem Weltverbesserungsanspruch, der auch im unbedingten Innovationsdrang der niederländischen De Stijl-Anhänger wurzelt. Die brachten schon vor 100 Jahren Architektur, Kunst und Technik zusammen.
Diese Verbindung ist wie für den Kongress in Aarhus gemacht und geht in eine ähnliche Richtung wie der disziplinübergreifende Ansatz des Architekten und Großkritikers Jan Gehl. „Eye level“ ist ein Stichpunkt, den er mehrmals erwähnt. Seine Augenhöhe-Architektur dient nur einem Zweck: der menschengerechten Stadt. Neben dem „eye level“ müsse der Planer den Platz im Auto oder am Schreibtisch verlassen. Gehls Empfehlung:
„Seid Radfahrer und Fußgänger, habt deren Tempo und deren Perspektive!“
Ihm geht es auch um die Rückeroberung der Straßen. Schnell hat er den Bogen von seiner Definition seiner Bürger-Architektur zum Dauer-Bashing der Moderne geschlagen. Für Gehl liegt der Missstand der verfehlten urbanen Entwicklung an den Folgen des Mantras der Modernisten: die Trennung der Funktionen und Lebensräume und die Ignoranz gegenüber lokal-regionalen Gegebenheiten. Ein weiteres Übel: der nach wie vor zu große Fokus auf den motorisierten Individualverkehr. Diese Auto-Obsession führe zu Städten mit Luft- und Lärmverschmutzung und zu einer Stadtplanung, die sich nicht an den Menschen orientiere. Bei seinem Vortrag könnte man fast vermuten, dass Städte abgeschafft gehören. Doch sowohl für ihn als auch seinen Co-Referenten Rob Adams stellt die Stadt die Lösung für die kommenden, gewaltigen Herausforderungen der Menschheit dar. Adams, Architekt und Stadtplanungsdirektor von Melbourne ist es gelungen das einst desolate Zentrum nicht nur wiederzubeleben, sondern es auch zu einem starken, neuen Kern zu etablieren. Die australische Millionenmetropole ist öfters wieder in den Top 10-Listen der lebenswertesten Orte der Welt, zusammen mit Kopenhagen. Doch der Erfolg der beiden Metropolen, den Adams und Gehl stark mitgeprägt haben, hat seine Schattenseiten. Beide konstatieren, dass mit der verbesserten Lebensqualität und den damit einhergehenden steigenden Miet- und Wohnpreisen auch der Druck der Immobilien- und Bauwirtschaft wachse. Die Gentrifizierung sorgt für Enklaven der Exklusiven. Ein Grauen für den Bottum-Up-Architekten Gehl, der die positiven Errungenschaften der vergangenen Jahre in Gefahr sieht. Daher müsse man an der Denkweise und Einstellung der Menschen arbeiten, ihnen hartnäckig und wiederholt die Vorteile einer humanen, sozial offenen Stadtentwicklung im menschengerechten Maßstab erklären. Den Einsatz von Türmen und Hochhäusern lehnt er ab:
„Dubai is a fantastic mistake!“
Diese Dubai-Torheit sei das letzte Aufbäumen der anachronistischen Moderne. Adams ergänzt, dass eine Nachverdichtung wichtig sei, allerdings nicht mit Wolkenkratzern, sondern mit intelligenter Nutzung von Lücken und maßvoller Erhöhung von Bestandsbauten. Das Niedermachen der autobesessenen Immer höher-Auswüchse und die Beschwörung der sozialen Arrival City macht Gehl nicht nur zum prophetischen Altmeister des Alternativen, sondern auch zum Berufsnörgler und Dauerskeptiker. Dass er den Begriff „Smart City“ bedenklich findet, versteht sich von selbst. Denn es komme auf den Inhalt und die Definition von „smart“ an. Mit Modewörtern könne er nichts anfangen. Das Publikum im vollen Saal des Godsbanen folgt ihm wie gebannt. Das liegt zum einen an den Studierenden der hiesigen Architekturfakultät und Fachleuten, zum anderen sind auch interessierte und vor allem junge Leute gekommen, für die Gehls Ausführungen nichts von der Bedeutung und dem Wahrheitsgehalt verloren haben. Im Gegenteil, für sie sind seine Gedankengänge und die damit verbundenen Postulate neu und möglicherweise eine wichtige Anleitung für ihre Beziehung zur Stadt.
Während Gehls Augenhöhe-Philosophie gut zu den Schulentwürfen von SMAK und CEBRA passen, ist Jacques Ferriers Ausstellung „A path towards the Sensual City“ die architektonische Antwort auf Roosegaardes technoide Hippieske. Die Schau ist ebenfalls Teil des Rising Architecture Week. Der Ort passt gut, denn das Dokk1 von Schmidt Hammer Lassen ist Skandinaviens größte öffentliche Bibliothek und dazu noch Bürgerzentrum, Bürokomplex und Veranstaltungsplatz. Der Ort spiegelt Ferriers Glaube an die Möglichkeiten der architektonischen Zukunft: die Verbindung zwischen Technik, Architektur und Gesellschaft, die neu gedacht und geknüpft werden müsse für eine Art ganzheitliche, gute Stadt.
„Um das zu schaffen“, so Ferrier, „muss Architektur in Verbindung mit Technologie das Instrument einer offenen Auffassung von Räumen sein, das den Menschen oberste Priorität zugesteht.“
Klingt logisch, klingt wie Baudichtung, klingt einfach. Doch angesichts der enormen Herausforderungen für die Menschen in den Städten ist es ein Satz, den sich Architekten, Gestalter, Planer und Entscheider häufiger in Erinnerung rufen sollten. Es ist schon viel gewonnen, wenn man klein anfängt. Zum Beispiel mit dem Toben, Klettern, Balancieren und dem Lernen in den neuen Schulen: Architektur auf (kindlicher) Augenhöhe.
Rising Architecture Week
Das Architekturfestival fand vom 11.–15.9.2017 statt und stand unter dem Motto "Inspire. Create. Provoke." Der Schwerpunkt lag auf den Herausforderungen, Möglichkeiten und Erfahrungen der Bauindustrie. Veranstaltungsort des Festivals war Godsbanen, ein umgebautes Güterbahnhofsareal. Adresse: Godsbanen, Den rå hal Skovgaardsgade 3, 8000 Aarhus.
Aarhus 2017
2017 ist Aarhus mit Paphos (Zypern) Kulturhauptstadt Europas. Die Region Midtjylland sowie die 18 anderen Gemeinden der Region unterstützen das Projekt. Politisch und kulturell wird es als das bedeutsamste Projekt in Dänemark seit Jahrzehnten angesehen. Aarhus betont die Beteiligung als wichtigen Faktor. Denn das Projekt ist das Ergebnis eines Prozesses, an dem sich mehr als 10.000 Menschen aus der gesamten Region beteiligt haben. Das offizielle Motto "Let’s rethink" signalisiert, dass Aarhus 2017 die Region Midtjylland in ein kulturelles Laboratorium verwandeln wird, in dem alternative Lösungen wachsen und gedeihen können. 400 Veranstaltungen begleiten das Kulturhauptstadtjahr, von Kunstausstellungen bis hin zu Theater, Tanz, Musik, Lesungen sowie Festivals wie Rising Architecture Week.