Werke des Weltbürgers
Reportage:Als Iconic Houses vor zehn Jahren online ging, war es für die Gründerin Natascha Drabbe kaum vorstellbar, dass es einmal beeindruckende 200 Haus-Museen in ihrem Netzwerk geben wird. Ihr Ziel war es, ikonische Bauwerke, Wohn- und Künstlerhäuser sowie Ateliers, zugänglich zu machen und international miteinander zu vernetzen, um das baukulturelle Erbe der Moderne weltweit anschaulich vermitteln zu können. In Tschechien können zwölf dieser Bauten besucht werden, darunter Apartments und Häuser von Adolf Loos in Prag und Pilsen. Diese waren Teil des Programms der „International Iconic Houses Conference“, die auch nach Brno, Wien und Ljubljana führte.
Ein besonderer Fokus waren die Bauten von Adolf Loos. Der in Brno geborene Architekt, Publizist und Kritiker gilt als einer der wichtigsten Vordenker der modernen Architektur. Verzierungen empfand er als überflüssig, das Konzept des Gesamtkunstwerks als übergriffig. Seine Werke verströmen eine besondere Sinnlichkeit. Sein Umgang mit edlen Materialien und deren Verarbeitung ist meisterhaft. Internationale Bekanntheit erlangte er wegen seines Raumplans: eines durchdachten Gestaltungssystems aus fließenden Räumen und Halbgeschossen, mit denen die Zimmer durch Treppen und Blicköffnungen miteinander verbunden sind.
Adolf Loos in Prag
Loos bekanntestes Prager Bauwerk ist die Villa Müller. Seine Auftraggeber waren der Bauunternehmer František Müller und seine Frau Milada Müllerová. Sie ließen den äußerlich schlichten Kubus zwischen 1928 und 1930 errichten. Im Inneren konzentriert sich purer Luxus mit einer Kombination aus hochwertigen Hölzern und Naturstein. Das Haus war technisch auf dem neuesten Stand. Hier verwirklichte er seine berühmte Raumplan-Theorie, zu der auch ein besonderes Farbkonzept gehörte.
Sehr viel bescheidener hingegen ist sein Entwurf des Apartments für Martha und Willy Hirsch (1927). Ursprünglich in Pilsen errichtet, wurde es 1988 von dem Architekten Burkhardt Rukschcio wiederentdeckt, liebevoll restauriert und in einem Apartment ähnlicher Größe in Prag neu eingebaut.
Loos zuletzt realisiertes Bauwerk, die Villa Winternitz, ist erst seit 2017 wieder zugänglich. Er entwarf sie 1932 gemeinsam mit Karel Lhota. Auftraggeber war der Anwalt Josef Winternitz. Auch hier setzte Loos seinen Raumplan über verschiedene Ebenen um. Den einzelnen Etagen ist je eine luftige Terrasse vorgelagert.
Nachdem die Nazis die Tschechoslowakei 1939 zerschlagen hatten, begann die systematische Deportation der Juden, darunter auch die Familie Winternitz. Diese wurden enteignet und viele wurden im KZ Ausschwitz getötet. David Cysař ist Fotograf und Kameramann und der Urenkel von Josef Winternitz. Nachdem er das Gebäude erworben hatte, entwickelte er mit seiner Frau Kristina das Haus zu einer Stätte der Kunst, Kultur und Kontemplation, inklusive der Möglichkeit der Übernachtung in der Villa Winternitz.
Adolf Loos in Pilsen
Neben Prag gehörte Pilsen zu den tschechischen Boomtowns der Moderne. In der Heimat von Urquell und Škoda erhielt Loos 1907 seinen ersten Auftrag. 1928 schuf er ein Apartment für die Familie Vogl. Von der ursprünglich weitläufigen Wohnung sind nur noch das Wohn- und Speisezimmer erhalten. Der Besuch ist abenteuerlich. Zwischen belanglosen Bürofluren öffnet sich unvermittelt eine Tür in eine Welt aus Kirschholzfurnier und japanischer Gravur. Bereits 1929 folgte der Umbau eines Hauses für Jan und Jana Brummel. Loos entfernte alle dekorativen Fassadenelemente aus dem späten 19. Jahrhundert, ergänzte einen Anbau und implementierte im Inneren eine Raumfolge verschiedener Atmosphären. Steven Brummel, ein im Ausland lebender Neffe des Erbauers, rettete das Haus 1978 vor dem Abriss. Innerhalb eines halben Jahres war das benötigte Geld für den Kauf in den USA gesammelt. Es folgte eine umfassende Instandsetzung. Heute zählt die Wohnung zu Loos besterhaltendsten Werken in Pilsen inklusive zeitgenössischem Mobiliar. Ein Auftrag folgte dem nächsten. 1931 entwarf er ein magisches Apartment für Vilém Kraus und seine Frau. Die Wände des Speisezimmers versah er mit großen, sich gegenüberstehenden Spiegelflächen und schuf so die Illusion einer endlosen Raumfolge. Die übrigen Wände verkleidete er mit grünem, weiß-geädertem Cipolllino-Marmor und kombinierte sie mit Einbaumöbeln sowie einer Kassettendecke aus dunkelbraunem Mahagoni. 1932 folgte eine bemerkenswerte Lounge für Helena und Hugo Semler. Hier versah er die Wände mit kunstvoll platzierten Natursteinplatten aus Bianco Fantastico. Die schwarze Maserung des Marmors erweckt den Eindruck fantastisch aussehender Kreaturen. Am Ende der Hauptachse platzierte er einen gemauerten Kamin, über dem sich ursprünglich eine verspiegelte Wandfläche befand. Eine von Loos geplante Erweiterung der Lounge kam nicht mehr zur Ausführung. Für Semlers Bruder, den wohlhabenden Metallfabrikanten Oskar Semler und seine Frau Jana entwarf Loos gemeinsam mit seinem Assistenten Heinrich Kulka eine ganz besondere Residenz. Sie ist auch die einzige der Pilsener Projekte, bei dem der sogenannte Raumplan umgesetzt wurde. Alle Räume sind geschickt über mehrere Niveaus geschichtet und nach innen ausgerichtet. Nach Loos Tod 1933 vollendete Kulka das Vorhaben. Alle Pilsener Interieure lassen sich entspannt bei einem angemeldeten Spaziergang erkunden.
Erkundungen, Führungen und Vorträge waren zentrale Elemente der „International Iconic Houses Conference“, bei der Unterstützer, Freunde und Mitglieder des Netzwerkes aus sechzehn Ländern teilnahmen. Die meisten kamen aus den USA und den Niederlanden, gefolgt von Großbritannien, Frankreich und Deutschland, aber auch aus Australien und Jordanien. Das dichte und informative Programm führte zu Häusern, Ateliers und Siedlungen, die Zeugen der heiteren und dunklen Geschichte Europas des 20. Jahrhunderts sind. Auch daran wurde bei der Konferenz erinnert. Für viele Bauherren und Auftraggeber endete die Goldene Avantgarde-Ära abrupt. Sie wurden von den Nazis enteignet, verschleppt, ermordet. Die wenigen Überlebenden verloren ihr Eigentum an die neuen Machthaber, die Sowjets. Viele gingen ins Exil, die Häuser blieben. Sie verfielen, wurden vergessen und nach Jahrzehnten wiederentdeckt. Heute sind sie wiederbelebte Ikonen und repräsentieren eine Facette Europas, die Adolf Loos so definierte:
Iconic Houses
Architektonisch bedeutende Wohn- und Künstlerhäuser des 20. Jahrhunderts zugänglich machen: das ist das Ziel von Iconic Houses. Ursprünglich in den Niederlanden gegründet, agiert sie längst als interkontinentale Plattform. Das 10-jährige Jubiläum zelebrierte die Organisation 2023 mit der „International Iconic Houses Conference“ in Prag, Pilsen, Brno und anderen Städten. Die Führungen und Vorträge thematisierten das Erbe und die Errungenschaften der tschechischen Avantgarde rund um den Baumeister Adolf Loos.