Neue Architektur in Nouvelle-Aquitaine – Die Strahlkraft des Südwestens
Auf Reisen /Lascaux in Montignac: Geritzt und gemalt
Die sanften Hügel um Montignac verbergen einen jahrtausendealten Schatz. Als die vier Freunde Marcel Ravidat, Jacques Marsal, Georges Agnel und Simon Coencas 1940 zufällig in die Höhle stiegen, ahnten sie nicht, welche Entdeckung sie machen würden. An den feuchten Kalksteinwänden fanden sich Ritzungen und Wandmalereien, die das Leben in der Dordogne vor 20.000 Jahren beschrieben. Die jungpaläolithischen Darstellungen von Mensch und Tier machten die Grotte schnell zu einer Pilgerstätte. Wechselnde klimatische Bedingungen durch die Vielzahl der Besucher drohten die Kunstwerke unwiederbringlich zu zerstören. So entschied man sich 1963 für die Schließung und eine originalgetreue Nachbildung für zukünftige Besichtigungen. 2018 eröffnete mit der vierten die vorerst letzte Höhlenversion. Die Wettbewerbsausschreibung schien perfekt auf das norwegische Büro Snøhetta zugeschnitten, wurden sie in den vergangenen Jahren besonders auch wegen ihrer landschaftsbezogenen Entwürfe gefeiert. Ihre Hülle für die mehr als 250 Meter lange Höhlennachbildung von Lascaux schmiegt sich sanft an den Hügel. Zugleich entwickelt der ikonisch gefaltete Bau genügend Strahlkraft, um weitere Besucher für den Ort zu begeistern und auch international eine Landmarke zu setzen.
Musée Vésunna in Périgueux: Geschichtet und gedeckt
Einige Kilometer weiter westlich schuf Jean Nouvel bereits 2003 ein schützendes Dach für die Grabungsstätte einer gallo-römischen Residenz. Das antike Vésunna lag inmitten der „Region des Wassers“ und wurde im ersten Jahrhundert von den Römern gegründet. Unter dem heutigen Périgueux sind vermutlich noch unzählige Relikte und Mauerreste verborgen. Nouvel umschloss das weitläufige Domus von Vésunna mit einer gläsernen Hülle, die von dünnem Stahl gehalten wird. Der Blick fällt frei in die Umgebung und zurück. Es entstehen unmittelbare Bezüge wie etwa auf den „Tour de Vésone“, eine gallo-römische Tempelruine oder die Reste der römischen Stadtmauer. Das Dach wurde streng nach dem Grundriss der ehemaligen Residenz ausgerichtet, hat eine sehr feine Traufkante und scheint über der Grabungsstätte zu schweben. Seine weite Auskragung schützt die Funde vor direkter Sonneneinstrahlung. Am Boden fällt der Blick auf bereits geborgene und noch verborgene Mauerreste unter dem Gelände. Alles wirkt so, als würde hier noch geforscht und gegraben. Dabei ist das Museum randvoll gefüllt mit Mosaikmalereien, Schmuck, Keramiken und anderen Relikten aus der unmittelbaren Umgebung.
Saint-Émilion: Konzentriert und erneuert
In seinen Anfängen ging es in Saint-Émilion äußerst fromm zu. Zwischen dem 8. und 18. Jahrhundert ließen sich Benediktiner-, Augustiner-, Franziskaner- und Dominikaner-Mönche sowie Schwestern der Ursulinen auf dem schmalen Felsvorsprung nieder. Die vielen Klöster und Kirchen prägen noch heute das sandsteinfarbene Bild des Dorfes. Besonders beeindruckend ist die in den Kalk geschlagene Felsenkirche, die größte ihrer Art in Europa. Seinen Reichtum erlangte Saint-Émilion durch den extensiven Naturstein-Abbau. Auf 80 Hektar entstand ein riesiges Netz an unterirdischen Gängen mit einer Länge von insgesamt 200 Kilometern. Zu internationalem Ruhm kam das Kalkstein-Plateau aber erst im 19. Jahrhundert mit einer exklusiven Monokultur – dem Weinanbau. Heute gibt es zwölf verschiedene Herkunftsbezeichnungen im gesamten Gebiet, unter ihnen die beiden bekanntesten Saint-Émilion und Saint-Émilion Grand Cru.
Altehrwürdige Châteaus krönen seit Jahrhunderten die Weinberge der Region. Mehr als 800 Weingüter verteilen sich auf 7.800 Hektar Land. Mit zunehmender Bedeutung des Weintourismus setzen die Grand-Cru-Weingüter auf ein neues Image, vor allem mit Hilfe bekannter Namen aus der Architekturszene und spektakulärer Neubauten. 1987 veredelte Ricardo Bofill eines der berühmtesten Weingüter im Bordelais. Für das Château Lafite Rothschild in Pauillac versenkte der katalanische Großmeister einen neuen, kreisrunden Fasskeller für mehr als 2000 Barriques im Médoc. In Saint-Émilion folgten unter anderem Kellereien für Cos d’Estournel von Jean-Michel Wilmotte (2008), Château Faugères von Mario Botta (2009) und der schwebende Garten von Château Cheval Blanc von Christian de Portzamparc (2011). Auf dem benachbarten Gut Château La Dominique entstand 2013 ein roter Riegel als Erweiterung des behutsam renovierten Bestandsgebäudes. Jean Nouvel schuf einen spannungsvollen Kontrast zum Stein, indem er die neue Fassade mit auf Hochglanz polierten Inoxpaneelen in sechs verschiedenen Rottönen verkleidete und die umgebende Kulturlandschaft auf ihnen spiegeln ließ. Anders als in anderen Regionen errichteten die Bordelaiser Châteaus keine Erlebnisgüter, sondern konzentrierten sich bei der architektonischen Ausgestaltung auf die Weinkeller, also auf die Orte, in denen die Erträge der Lese vergoren und die Weine später in Fässer zu dem abgefüllt werden, wofür sie weltweit geschätzt werden.
Bordeaux: Aufklärung und Aufbruch
Das Château Les Carmes Haut Brion liegt in der Weinregion Pessac-Léognan westlich des historischen Stadtzentrums von Bordeaux. Viele Jahre war das Gelände isoliert inmitten der Stadt. 2015 wurden Mauern eingerissen und das Areal erhielt einen neuen Zugang auf der Nordseite. Seitdem befindet sich ein kleiner, öffentlicher Verkaufsraum in einem historischen Gebäude. Highlight ist auch hier die Kellerei. Philippe Stark und der Architekt Luc Arsène-Henry schnitten eine riesenhafte Klinge in den fruchtbaren Boden und setzten somit ein markantes Zeichen.
Mit mehr als 350 klassifizierten oder als „Historische Monumente“ gelisteten Gebäuden stufte die UNESCO Bordeaux’ inneres Stadtgebiet 2007 als „außergewöhnliches urbanes und architektonisches Ensemble“ ein – ein kulturell gewichtiges Erbe aus der Zeit der Aufklärung. Entlang der Garonne mit seiner berühmten, aufwendig gereinigten Fassade entstanden in den letzten Jahren luftige Promenaden und lebendige Stadtplätze. Besonders hier zeigt sich Bordeaux’ Anspruch auch zukünftig in der großen Liga europäischer Metropolen mitzuspielen. Gigantische Kreuzfahrtschiffe liegen vor Anker. Am Place de la Bourse spiegelt sich der stolze Stein in Michel Corajouds „Miroir dÈau“. An beiden Ufern reihen sich Stadtplätze, Skateparks, Event-Bühnen, Bars und Restaurants. Die Bordelaiser haben die Garonne und ihre Ufer wieder begeistert in Besitz genommen.
Die Stadt erfindet sich neu. An den beiden Enden des sogenannten Halbmonds entstanden zeichenhafte Neubauten. Im Nordosten rund um die „Bassins à flot“, wo einst U-Boote stationiert waren, Schiffe gebaut und repariert wurden, wachsen zwischen den historischen Häuserzeilen der Hafenarbeiter und ehemaligen Industriehallen neue Wohnbauten und postindustrielle Arbeitsplätze in den Himmel. Glänzender Angelpunkt ist das weltweit erste Weinerlebniszentrum am Zufluss zur Garonne, die Cité du Vin des Pariser Architektenduos Anouk Legendre und Nicolas Desmazières (XTU). „Braucht es neben den ausgezeichneten Weingütern der Region zusätzlich überhaupt eine solche Eventlocation?“ Unbedingt, denn die Idee, die Geschichte des Weins als universales Kulturgut einem breiteren Publikum zu vermitteln, kann nur vom elitären Feuilleton kritisiert werden. Die interaktive Ausstellung mit audiovisuellen Reisen durch Zeit und Raum, bei denen man sowohl Winzer aus Frankreich als auch aus Südtirol, Thailand, Georgien oder Südafrika erleben kann, bildet, verbindet und macht Spaß. Dabei hätte dem Gebäude selbst sicher etwas weniger Bildhaftigkeit gut gestanden: eine Karaffe, in deren Inneren der Wein zum Schwingen gerät.
Am südlichen Ende der Promenade im neuen Geschäftsviertel Euratlantique eröffnete im September 2019 Bordeaux’ neues Kulturzentrum Maison de l’Économie Créative et de la Culture en Aquitaine (MÉCA). Die dänischen Popstar-Architekten der Bjarke Ingels Group BIG schufen in Zusammenarbeit mit Freaks freearchitects aus Paris und Lafourcade-Rouquette Architectes aus Bordeaux einen expressiven Torbogen, in dem drei regionale Kulturinstitutionen untergebracht sind: die Sammlungen des FRAC mit Fokus auf zeitgenössische Kunst, das ALCA mit den Schwerpunkten Kino, Literatur und audiovisuelle Künste und das sich der Performancekunst widmende OARA. Das Bauwerk formt einen höher gelegenen Stadtplatz, der über breite Treppenanlagen erreichbar ist und jedem offen steht. Dabei steht das MÉCA sinnbildlich für eine ganze Region, die ihr kulturelles Erbe pflegt und zugleich offen ist für einen frischen Blick in die Zukunft.
Wir danken Nouvelle Aquitaine Tourisme und den Partnern Atout France, Dordogne Périgord, Saint Émilion Tourisme und Bordeaux Tourism & Conventions für die Einladung zur redaktionell unabhängigen Presse- und Recherchereise!
Nouvelle-Aquitaine
Die Region entstand 2016 durch den Zusammenschluss der bisherigen Regionen Aquitanien (Aquitaine), Limousin und Poitou-Charentes. Nouvelle-Aquitaine ist über 84.000 km² die flächenmäßig größte Region und hat knapp 6 Millionen Einwohner*innen (Stand: Januar 2016). Sie unterteilt sich in zwölf Départements (Charente, Charente-Maritime, Corrèze, Creuse, Deux-Sèvres, Dordogne, Gironde, Haute-Vienne, Landes, Lot-et-Garonne, Pyrénées-Atlantiques und Vienne). Sie grenzt (im Uhrzeigersinn) an die Regionen Pays de la Loire, Centre-Val de Loire, Auvergne-Rhône-Alpes, Okzitanien sowie mit den Pyrenäen und der baskischen Küste an Spanien und den Atlantik. Neben der Regionalhauptstadt Bordeaux liegen auch die beiden größeren Städte Limoges und Poitiers in Nouvelle-Aquitaine. Die Region hat mit neun UNESCO Welterbestätten die meisten in Frankreich, hinzu kommen 28 „Art and History“-Städte. Gastronomie- und Weintourismus sind weitere Merkmale: es gibt 51 Sternerestaurants und 6,2 Millionen Touristen besuchen die 1.150 Weingüter. Nouvelle-Aquitaine hat zudem eine 750 km-lange Küstenlinie mit insgesamt 40 Häfen.
Lascaux
Avenue de Lascaux, 24290 Montignac
Musée Vésunna
20 Rue du 26e Régiment d'Infanterie, Parc de Vesone, 24000 Perigeux
Château La Dominique
Lieu-dit La Dominique, 33330 Saint-Émilion
Château Les Carmes Haut Brion
20 Rue des Carmes, 33000 Bordeaux
La Cité du Vin
Esplanade de Pontac, 33000 Bordeaux
La Méca
54 Quai de Paludate, 33800 Bordeaux